Die Neue Sachlichkeit
Mannheim feiert 100 Jahre Neue Sachlichkeit.
In der Kunsthalle wird noch bis zum 09.03. eine Ausstellung gezeigt, die dort in großen Teilen bereits 1925 zu bestaunen war: Die Neue Sachlichkeit. Pünktlich zum Jubiläum haben Kunstinteressierte die Möglichkeit, viele bekannte Kunstwerke selbst in Augenschein zu nehmen.
1923 wurde der Kunsthistoriker Gustav F. Hartlaub zum neuen Direktor der Kunsthalle ernannt und bereits zwei Jahre später gelang ihm im Jahr 1925 mit der bedeutenden Ausstellung “Neue Sachlichkeit” ein großer Coup. Hartlaub setzte sich besonders für die Förderung der zeitgenössischen Kunst ein, vor allem des Expressionismus, und entdeckte einige neue Künstler, z.B. Franz Xaver Fuhr.
Der Begriff prägte nicht nur eine kunsthistorische Epoche, sondern wurde zum Synonym für den kulturellen Aufbruch der 1920er-Jahre. Sowohl in der bildenden Kunst, als auch in der Architektur und Literatur dominierte die Rationalität und sachliche Präzision, die man als Reaktion auf die großen politischen und sozialen Umwälzungen dieses Jahrzehnts interpretieren kann.
Hundert Jahre später sind die großen Künstler noch einmal geschlossen in einer Ausstellung vertreten – darunter Otto Dix, George Grosz, Karl Hubbuch, Alexander Kanoldt, Anton Räderscheidt u.v.m.
Die Jubiläumsausstellung, die am 01.09.2024 ihre Pforten öffnete, entpuppte sich schnell als Besuchermagnet. Bereits im Februar wurden 100.000 Besucher verzeichnet.
Otto Dix. Bildnis der Tänzerin Anita Berber. 1925.
Eines der bekanntesten Gemälde von Otto Dix ist zweifelsohne sein Portrait der skandalösen Tänzerin und Schauspielerin Anita Berber. Ihr Leben war geprägt von Exzessen, Skandalen, Alkohol- und Kokainsucht.
Otto Dix malte sie im zarten Alter von 26 Jahren – drei Jahre vor ihrem Tod. Trotz ihres jungen Alters dominiert der Verfall das Portrait. Dieses ist im Übrigen voller Widersprüche. Zum einen verhüllt das hochgeschlossene Kleid den Körper, zum anderen wird er durch das enganliegende Kleid entblößt. Auch die Farbe Rot hat zwei Bedeutungen. Zum einen steht die Farbe für Leidenschaft und Verführung, zum anderen auch für Verderben und Verruchtheit. Die unterschiedlichen Rottöne unterstreichen den Konflikt.
Anita Berber verstarb mit 29 Jahren an den Folgen von Tuberkulose.
„Anita Berber, das Gesicht zur grellen Maske erstarrt, unter dem schaurigen Gelock der purpurnen Coiffure – tanzt den Koitus. […] Ihr Gesicht war eine düstere und böse Maske. Der stark geschwungene Mund, den man sah, war keineswegs ihrer, vielmehr ein blutig-rotes Machwerk aus dem Schminktöpfchen.“
Zusammen mit George Grosz gilt Otto Dix als Hauptvertreter des linken Flügels der Neuen Sachlichkeit. Seine Kunst ist geprägt von Kriegserlebnissen –er befasste sich außerdem mit sozialen Themen, Prostitution und den Verlierern der Gesellschafft.
Während der Ausstellung 1925 war er mit sieben Gemälden vertreten. Im Jahr 1933 verlor er seinen Posten an der “Akademie der Bildenden Künste” in Dresden und zog sich an den Bodensee zurück. Seine Kunst wurde im Nationalsozialismus als “entartet” eingestuft, doch es gelang ihm, in gemäßigtem Stil, unbehelligt weiterzuarbeiten.
„Kunst machten die Expressionisten genug. Wir wollten die Dinge ganz nackt und klar sehen, beinah ohne Kunst. Die Neue Sachlichkeit, das habe ich erfunden.“
Die 1920er-Jahre waren geprägt von der Emanzipation der Frau. 1918 erstritten Frauen das Wahlrecht, erlangten Zugang zu den Akademien und Hochschulen und Beteiligung am Berufsleben. Auch das Auftreten veränderte sich. Das äußere Erscheinungsbild erlebte eine sog. “Maskulinisierung” – Frauen mit Kurzhaarfrisur, Zigarette und Anzug wie beispielsweise Filmstar Marlene Dietrich. Gleichzeitig war die Mode geprägt von Pragmatismus, Funktionalität und Schlichtheit.
Parallel entwickelte sich in den USA der Sozialtypus der Flapper: Junge Frauen mit kurzen Haaren, die sich schminkten, tranken und rauchten.
Lotte B. Prechner
Jazz Dancer (1928/29)
Eines der Hauptmotive der Neuen Sachlichkeit war das Stillleben. Die Gemälde zeichneten sich vor allem durch Präzision, Detailtreue und einen strengen Bildaufbau aus.
Die Hauptmotive der Künstler waren alltägliche Gebrauchsgegenstände, technische Gerätschaften, Gefäße, Tiere und Pflanzen. Vor allem letztere wurden schnell zum meistvertretenen Motiv. Während Schnittblumen in der Nachkriegszeit zum Luxusgut wurden, fanden Gummibäume und Kakteen, die zumeist in botanischen Gärten angesiedelt waren, großen Anklang. Sie galten als langlebig und äußerst pflegeleicht – vor allem der stachelige Kaktus wurde in den harten Nachkriegsjahren zum Symbol für Resilienz, Widerstandskraft und Genügsamkeit.
Hat jemand die Kirche erkannt…?
Es handelt sich um ein Gemälde der Jesuitenkirche in A-Quadrat (1968), angefertigt von Richard Stitzel.
George Grosz.
Portrait des Schriftstellers Max Herrmann-Neiße (1925)
George Grosz. Grauer Tag. 1921.
Neben Otto Dix gilt George Grosz als einer der Hauptvertreter des linken Flügels der Neuen Sachlichkeit. Grosz war außerdem einer der zentralen Figuren in der Mannheimer Ausstellung im Jahr 1925. Vor dem Hintergrund des Ersten Weltkrieges und der frühen Weimarer Zeit hatte sich der Künstler zunehmend politisiert.
Das oben gezeigte Bild beinhaltet neben scharfer sozialer Kritik auch zugespitzte Typisierungen und Stereotypen sowie eine Ursachenanalyse. Im Vordergrund der tristen Szenerie ist ein Beamter zu sehen, der sich nicht sonderlich für das Schicksal der Kriegsversehrten zu interessieren scheint. Er ist als Karikatur dargestellt, während der Veteran, der die Treppe heruntersteigt, individuelle Züge trägt. Durch die Mauer werden beide voneinander separiert, sowohl räumlich wie auch sozial. Der gesichtslose Arbeiter im Hintergrund dient als Sinnbild der Industrialisierung. An der Wand drückt sich ein Schwarzmarkthändler rum, als Sinnbild für die schamlose Bereicherung und den damaligen florierenden Handel illegaler Geschäfte.
Fazit
Die Ausstellung hat nicht zu viel versprochen und war ein Highlight in den grauen Wintermonaten. Die Gemälde sind intensiv, vielschichtig und oftmals schonungslos. Daher richtet sich die Ausstellung nicht nur an Kunstliebhaber, sondern auch an politisch Interessierte.
Kunsthalle Mannheim
Friedrichsplatz 4 | 68165 Mannheim
Tel.: 0621/2936423
Email: info[at]kuma.art
Website: https://kuma.art/de
Instagram: @kunsthallema